Zwischen Tradition und Innovation: Cordula Trauner über ihre Vision als neue Superintendentin

Nachricht Hildesheim, 11. September 2024

Cordula Trauner ist ab August neue Superintendentin im Kirchenkreis Hildesheim-Sarstedt. Mitten im Umzugsstress, zwischen Wohnungsübernahme über der Suptur in Hildesheim, Kisten packen und Formalitäten, nimmt sie sich im Frühsommer Zeit für ein Gespräch. Ein spannender Einblick in das Leben und die Ziele einer Frau, die sich nicht scheut, unbequeme Fragen zu stellen und neue Wege zu gehen.

Frau Trauner, wann stand für Sie fest, Pastorin werden zu wollen?

Cordula Trauner: Für mich stand schon mit acht Jahren fest, dass ich evangelische Pastorin werden möchte. Ich bin evangelisch-reformiert konfirmiert und nach der 10. Klasse in der Realschule auf ein katholisches Privatgymnasium gewechselt. Leistungskurse waren dann Biologie und Chemie sowie Deutsch und katholische Religion. Da saß in dem Prüfungsgespräch auch der katholische Bischof, weil er neugierig war auf eine evangelische Schülerin, die sich in katholischer Religion prüfen lassen wollte.

Wie war so die Erfahrung, als evangelisch-reformierte Schülerin an einem katholischen Privatgymnasium?

Cordula Trauner: Schwester Maria Gertrudis Koch, die damalige Schulleiterin, hat mich sehr geprägt. Ich denke, sie hat anfangs gehofft, dass ich konvertiere und Ordensschwester werde. Später war sie bei meinem ersten eigenen Gottesdienst als Studentin in meiner Heimatgemeinde und in den 2000er Jahren bei meiner Ordination dabei. Gelebte Ökumene – eine gute Erfahrung.  

Oftmals ist Pastor*in ja ein „ererberter Beruf“ – wie war das bei Ihnen?

Cordula Trauner: Meine Eltern waren nicht besonders fromm. Für mich entscheidender: Sie haben christliche Werte gelebt. Sie haben mich darin bestärkt aufrecht und klar – mit einem Blick für die Nächsten – durch das Leben zu gehen. Über den Flötenkreis, den Orgelunterricht und den Kindergottesdienst, der wesentlich CVJM geprägt war, bin ich in der Dorfgemeinde, in der ich aufgewachsen bin, in die kirchlichen Strukturen hineingewachsen.  

Sie engagierten sich ja auch häufig für Menschen, die man vielleicht nicht als erstes im Blick hatte – wie etwa in der AIDS-Hilfe…

Cordula Trauner: In den 90er-Jahren habe ich eine Ausbildung als ehrenamtliche Mitarbeiterin in der AIDS-Hilfe gemacht. Hier sind mir Menschen mit existenziellen Fragen begegnet: Wie fülle ich mein schon verloren geglaubtes Leben mit Leben? Und auch die Erkenntnis, die so widersprüchlich scheint: Menschen haben ein Recht auf Leid.

…oder dann später in der Flüchtlingsarbeit?

Cordula Trauner: Als Schulpastorin habe ich mich in der Flüchtlingsarbeit in Marokko engagiert. Zwei Wochen Agadir in den Weihnachtsferien. Einerseits mit deutschsprachigen Weihnachtsgottesdiensten für Urlauber:innen und andererseits in der Mitarbeit in der Nothilfe etwa Essen, Kleidung oder in der medizinische Versorgung. Ziel meines damaligen Kirchenkreises war und ist es, ergebnisunabhängig zu beraten, ob Weiterwanderung, Integration oder Rückkehr in das Herkunftsland, Flüchtlinge in Marokko beruflich für die Zukunft zu qualifizieren und mit Mikroprojekten nach der Qualifizierung für einen Start ins Berufsleben in Marokko fit zu machen.

Welche Erkenntnisse haben Sie aus Ihrem Schüler:innenaustausch in Palästina mitgenommen?

Cordula Trauner: Vor sechs Jahren war ich zuletzt im Rahmen des Schüleraustausches in Palästina. Während meiner Aufenthalte in den 2000er-Jahren habe ich verstanden, wie wichtig es ist, die doppelte Verbundenheit mit Israel und Palästina zu leben und mit Leben zu füllen. Im Rahmen des Programmes haben die Schüler:innen meiner damaligen Schule die Chance gehabt, Menschen und Land persönlich kennenzulernen. Eigene Erfahrungen zu machen und diese mit anderen – auch den Gastgeber:innen – reflektieren zu können, wirkt vorschnellen Urteilen entgegen.

Das passiert ja immer wieder leicht…

Cordula Trauner: Erst wer den Menschen wirklich ansieht, verleiht ihm ein Gesicht. Es passiert so leicht, dass Menschen kategorisiert werden. Natürlich helfen Kategorien bei der Reduktion von Angst – was ich einordnen kann, schreckt mich nicht. Doch Diskriminierungen wirken die Kategorien selten entgegen.

Wie setzen Sie sich für Nachhaltigkeit und öko-faire Beschaffung in der Kirche ein?

Cordula Trauner: Der Mensch – und damit auch ich – ist mitunter ein Gewohnheitstier. Doch Nachhaltigkeit – das steckt da ja schon im Wort – bestimmt auch die Haltung.  Entsprechend habe ich in den vergangenen Jahren immer wieder neu meinen Blick geschärft.  Ich achte beim Einkauf auf regionale und saisonale Produkte, fahre häufiger Bahn, verzichte weitestgehend auf Produkte, deren Produktionsbedingungen nachweislich nicht menschengerecht sind …    

Welche Maßnahmen schlagen Sie vor, um das Bewusstsein für Armut in der Kirche zu schärfen?

Cordula Trauner: Ich denke, dass es ein Bewusstsein dafür gibt, dass jedes fünfte Kind in Niedersachsen armutsgefährdet ist und dass gleiches für fast jede dritte Rentnerin und jeden dritten Rentner gilt. Fraglich ist nur, wie wir in unserer Kirche und in unseren Kirchengemeinden damit umgehen. Ich schätze die niederschwelligen kostenfreien Ferien- und diakonischen Angebote, die sensible Ansprache, wenn deutlich ist, dass es hinten und vorne nicht reicht. Persönlich freut es mich, wenn es uns gelingt Menschen aus prekären Lebensverhältnissen oder Menschen mit internationaler Geschichte für die Mitarbeit in unserer Kirche zu gewinnen. Es freut mich, weil ich davon ausgehe, dass wir von ihnen lernen könnten, wie wir menschen- und sachgerecht handeln - ohne zu stigmatisieren.

Haben Sie sich deswegen auch für Ihr Zweitstudium entschieden?

Cordula Trauner: Meine Masterthesis im Sozialmanagement entstand vor diesem Hintergrund, ja. 2008 habe ich zu Diversity Management in zwei deutschen DAX-Konzernen gearbeitet. Der Umgang mit Vielfalt oder Andersheit will erlernt werden. Nur wenige können von sich sagen, dass sie alle ihre Vorurteile, Stereotypen und Schubladen kennen. Im besten Fall aber hat jemand gelernt, mit ihnen umzugehen. Für mich liegt im selbstverständlicheren Umgang mit Heterogenität ein Schlüssel für eine tolerante Gesellschaft.

Wie erleben Sie den christlich-muslimischen Dialog und welche Bedeutung hat er für Ihre Arbeit?

Cordula Trauner: Mich interessiert der christlich-muslimische wie der interreligiöse Dialog insgesamt. Bedeutung in meiner Arbeit hat er in einer gemeinsamen Besuchs-, Fest- und Feierkultur und auch dort, wo wir als monotheistische Religionsvertretende entschieden gegen die „-ismen“ auftreten!

Wie wird sie sein, die Zukunft der Kirche?

Cordula Trauner: Wie wollen wir Kirche sein? In zehn Jahren wird es auch Kirche geben. Vielleicht stärker interkonfessionell, interreligiös stärker zusammenarbeitend und mit einem ausgeprägten sozial-diakonischen Profil. Vielleicht gelingt uns zunehmend besser das Gespräch mit den Sinnsuchenden kirchlich Distanzierten. Manche Dinge werden anders sein als in unserer verfassten Kirche heute. Aber die jetzige ist auch schon anders als die, in die ich hineinstudiert habe.

Als Superintendentin werden Sie ja das Gesicht des Kirchenkreises – oder sind Sie eher Teamplayerin?

Cordula Trauner: Als Superintendentin bin ich das Gesicht des Kirchenkreises und zugleich liegt mir an einer respekt- und vertrauensvollen Zusammenarbeit mit und in einem Team, in dem jede und jeder unterschiedliche Begabungen hat und diese zum Wohl des Kirchenkreises einbringt. Ich schätze inter- und multiprofessionelle Teams – zusammen das Beste denken ist einfacher.

Wie gehen Sie mit Hierarchien und Konflikten innerhalb der Kirche um?

Cordula Trauner: Hierarchien werden in den nächsten Jahren fluider werden, denke ich. Ich halte es für wichtig, dass jede:r an dem Platz, an dem sie oder er ist, nach besten Wissen und Gewissen arbeitet. Wer arbeitet macht auch Fehler. Das ist menschlich. Die Konflikte, die dabei und in anderen Zusammenhängen entstehen könnten, sind zu lösen. Es braucht den Umgang damit. Mitunter bedarf es dann der Anstrengung aller, um zu einer passenden Lösung zu kommen. 

Die ForuM-Missbrauchsstudie hat offengelegt, wie sehr sexualisierte Gewalt auch in der evangelischen Kirche raumgreifend war. Welche Maßnahmen ergreifen Sie, um zu betroffene Personen zu unterstützen und zur Prävention?

Cordula Trauner: Beim Thema sexualisierte und psychische Gewalt habe ich eine absolute Null-Tolerenz-Linie. Es geht um Menschen. Menschen, die von Gewalt betroffen waren und sind, haben damit ein Lebensthema, das sie sich nicht ausgesucht haben. Sie bestmöglich zu unterstützen halte ich für unerlässlich. Für mich steht in der Arbeit mit betroffenen Personen im Vordergrund, sie zu hören, ernst zu nehmen und - so ich erfahre, was sie brauchen - die Arbeit daran, dies bestmöglich zu realisieren.

Um sicherere Ort in unseren Kirchengemeinden zu schaffen, braucht es geschulte Wahrnehmungsfähigkeit und Sensibilität im Umgang miteinander. Dazu braucht es Schulungen für die Haupt- und Ehrenamtlichen, erweiterte polizeiliche Führungszeugnisse für ehren- wie hauptamtlich Tätige sowie beschlossene, verbindliche und gelebte Schutzkonzepte in allen Kirchengemeinden und Einrichtungen unseres Kirchenkreises.

Ebenso ehrlich und authentisch müssen wir auch mit Täter:innen und Beschuldigten umgehen. Da ist sicher noch viel zu tun - auch im Hinblick auf eine konsequente Aufarbeitung.  

Wie entspannen Sie sich in Ihrer Freizeit, und welche Rolle spielt Musik in Ihrem Leben?

Cordula Trauner: Ich bin ein Mensch, der Kultur genießt. Ich lese gerne und gemeinsam mit meiner Frau verreise ich gern oder gehe mit ihr und Freund:innen ins Café. Mal gucken, ob sich Zeit für einen Chor findet - bei richtig viel Zeit musizieren meine Frau und ich gemeinsam.

Dornum, Jülich, Erkelenz, Köln-Bonn, Rheinland, Ostfriesland. Sind Sie eher Stadt- oder Landmensch?

Cordula Trauner: Ich bin auf dem Land groß geworden, habe dann in Bonn studiert, in Groß- und Kleinstädten gearbeitet und eben zuletzt wieder auf dem Land gelebt und gearbeitet. Der Kirchenkreis Hildesheim-Sarstedt mit seinen Stadt- und Dorfgemeinden ist für mich eine neue Ecke der Landeskirche. Ich lebe gern auf dem Land und ich schätze die Vorzüge der Stadt. Ich freue mich auf die Begegnung mit den Menschen, die im ländlichen wie städtischen Raum des Kirchenkreises leben und arbeiten!

Wie prägt Ihr Glaube Ihr Leben?

Cordula Trauner: Ich bin überzeugt, dass es zwischen Himmel und Erde mehr gibt als wir als Menschen erfassen können. Ich schätze hierzu den Austausch mit Naturwissenschafter:innen. Ich glaube fest an ein Leben nach dem Tod und lebe aus der Hoffnung. Ich versuche in in meinem Gegenüber ein Du zum Ich zu erkennen – das hilft mir auch mit verhaltensoriginellen Menschen angemessen umzugehen.

Von außen betrachtet ist Kirche gerade in unterschiedliche Richtungen unterwegs? Und welche Rolle haben Ehrenamtliche?

Cordula Trauner: Ehrenamtliche haben und hatten immer schon eine besondere Rolle in unserer Kirche. Wo es uns gelingt in eine Balance aus Tradition und Innovation zu kommen, kann Ehrenamt auch in Zukunft gelingen. Die einen sind seit Jahrzehnten dabei, andere für kleine Projekte zu gewinnen. Die einen wollen, dass sich möglichst wenig ändert, andere wollen geschult oder persönlich angesprochen werden, wieder andere haben eigene Ideen und suchen selbstständig Orte, um diese umzusetzen. Es braucht die passende Ansprache, Wertschätzung und die Klarheit, dass es eine Dienstgemeinschaft aus Haupt- und Ehrenamtlichen ist.

Wie fördern Sie die Entwicklung und Umsetzung neuer Formate in der Kirche?

Cordula Trauner: Ich möchte sie durch Ermöglichung fördern und freue mich auf neue, kreative Ideen!

Das Interview führte Gunnar Müller, Öffentlichkeitsbeauftragter im Sprengel Hildesheim-Göttingen.

Herzliche Einladung

Der Gottesdienst mit Einführung von Cordula Trauner in das Amt der Superintendentin des Kirchenkreises Hildesheim-Sarstedt beginnt am Sonntag, 15. September, ab 14 Uhr in der Hildesheimer Andreaskirche. Im Anschluss lädt der Kirchenkreis zu einem kleinen Empfang ein.